Ende
September hat sich unsere Schulgemeinschaft im Rahmen einer
Solidaritätswanderung auf den Weg gemacht, die Menschen in den Flutgebieten zu
unterstützen. Wie haben die Menschen vor Ort die Flutnacht erlebt? Mit welchen Herausforderungen
müssen sie derzeit leben? Und was geschieht mit den Spendengeldern? Diese und
andere Fragen hat Lehrerin Jennifer Kahn der Konrektorin der Grundschule Bad
Neuenahr, Birgit Wittpohl, gestellt. Sie berichtet von der Situation im Ahrtal.
Wie
haben Sie den Tag/die Nacht der Flut erlebt?
Birgit
Wittpohl: Unsere Schulleiterin und ich sind an dem Abend tatsächlich noch hier
in der Schule gewesen und haben nach dem Rechten gesehen. Da war das Hochwasser
schon da, aber bei Weitem noch nicht so schlimm. Wir haben hier ja schon öfter
mit Hochwasser zu tun gehabt, und da wir in dem Moment eh nichts tun konnten,
sind wir dann nach Hause gefahren und haben die Situation weiter beobachtet. Da
war es schon nach 22 Uhr und es hat keine Warnungen oder Ähnliches gegeben.
Wie
sah es am Tag nach dem Hochwasser vor Ort aus?
Birgit
Wittpohl: Wir haben zunächst eine kurze Meldung an alle gemacht, dass die
Schule ausfällt und dann haben wir uns ein Bild vor Ort gemacht. Das war erst
einmal ein Schock und ziemlich katastrophal. Bei uns in der Schule stand das
Wasser schon sehr hoch, aber rundherum war alles komplett verwüstet. Am Montag
haben wir dann direkt mit den Aufräumarbeiten begonnen. Da haben auch sehr
viele aus dem Kollegium mitgeholfen und zahlreiche freiwillige Helferinnen und
Helfer. Ohne diese Hilfe wäre da sehr lange erst einmal nichts passiert. Die
Behörden hier vor Ort haben sich natürlich bemüht zu helfen, doch sie waren mit
der Situation natürlich auch ziemlich überfordert. Es war unheimlich anstrengend, es zu schaffen, dass am ersten
Schultag nach den Ferien halbwegs normaler Unterricht möglich ist.
Wie
stark sind die Familien Ihrer Schülerinnen und Schüler betroffen gewesen?
Birgit
Wittpohl: Wir haben Familien, die zum Zeitpunkt nicht in der Stadt waren und
die Flutnacht nicht erlebt haben. Einige Familien haben auch Glück gehabt, dass
sie in höher gelegenen Gebieten wohnen. Wir haben aber auch Familien, die die
volle Breitseite abbekommen haben, deren Zuhause völlig zerstört worden ist. Auch
ein Dutzend Kolleginnen und Kollegen ist von Flutschäden betroffen. Einige der
Familien sind teilweise irgendwo anders in der Stadt untergekommen oder in
Übergangswohnungen. Wenige haben das Ahrtal ganz verlassen, aber der Großteil
möchte bleiben.
Wie
ist es nach der Begutachtung der Schäden weitergegangen?
Birgit
Wittpohl: Wir hatten sehr viele Begehungen und Messungen. Es waren sehr viele
Fachleute da, von der Stadt und der Unfallkasse, etc. Alle haben
übereinstimmend gesagt, dass die Schadstoffbelastung so gering ist, dass auch
im stark betroffenen Erdgeschoss ein provisorischer Unterricht möglich ist. Wir
haben die Böden und die Wände dann erst einmal unangetastet gelassen, aber dann
stellte sich schnell heraus, dass die Feuchtigkeit in den Böden und Wänden doch
noch sehr groß war. Und dann haben wir
in einem wilden Wechselspiel von Raum zu Raum alle Böden herausgeholt und die
Wände bis zur Brusthöhe bearbeitet. In den Herbstferien ist dann ein schnell
trocknender Estrich verlegt worden.
Wie ging es den Kinder damals und was
haben Sie getan, um Sie aufzufangen?
Birgit
Wittpohl: Wir waren überrascht, dass die Kinder froh waren, wieder hier zu
sein. Viele hatten ja keine richtigen Sommerferien und sie waren froh, an einem
vertrauten Ort mit vertrauten Menschen um sich herum zu sein. Man hat bei
vielen Kindern die Freude und Erleichterung gespürt, etwas Normalität zu haben.
Es gibt bei uns nur wenige Kinder, bei denen wir das Gefühl haben, dass echte
Traumata zurückgeblieben sind. Dazu wird aber gearbeitet und die Familien
werden psychologisch unterstützt. Wir hatten in der ersten Zeit nach der Flut
auch viele Seelsorger und Psychologen vor Ort, das war eine große Hilfe. Zudem
wurde das Kollegium vorbereitet und geschult und hatte so ein Stück Sicherheit,
mit der Situation und den Bedürfnissen der Kinder umzugehen.
Worin
bestanden die größten Herausforderungen?
Birgit
Wittpohl: Die größte Herausforderung bestand erst einmal darin, dass Gebäude so
herzurichten, dass dort wieder Unterricht stattfinden kann. Das fing damit an,
dass wir Möbel besorgt haben, Materialien und Schultaschen. Die
Spendenbereitschaft war sehr groß, aber das musste alles auch erst einmal
koordiniert werden. Die Organisation des Alltags ist bis heute immer noch ein
großer Kraftakt. Wir haben viel zu wenig Räume, keine Turnhallen, keine Mensa.
Der Kellerbereich ist immer noch nicht nutzbar. Zurzeit können wir immer noch
keinen Ganztagsbetrieb anbieten, nur eine Notbetreuung. Hinzu kommt, dass die
ganze Umgebung der Schule immer noch sehr in Mitleidenschaft gezogen ist.
Viele
Menschen haben sich entschlossen, den Flutopfern zu helfen. Was hat Sie in
dieser Hinsicht am meisten bewegt?
Birgit
Wittpohl: Wir haben sehr viel Hilfsbereitschaft erfahren und uns bewegt
besonders, dass wir von anderen Schulen so viel Zuwendung erfahren haben. Was
viele Schulgemeinschaften auf die Beine gestellt haben, um uns zu unterstützen,
hat uns sprachlos gemacht. Es gab so viele tolle Aktionen, Sponsorenläufe, Basare
und Flohmärkte, die mit viel Herzblut und Anteilnahme organisiert worden sind.
Andere Kinder und Jugendliche die sich für unsere Kinder so ins Zeug gelegt
haben, das ist einfach toll. Auch bei ihrer Schulgemeinschaft möchten wir uns
auf diesem Wege ganz herzlich bedanken.
Wie
werden die Spendengelder in Ihrer Einrichtung eingesetzt?
Birgit
Wittpohl: Wir haben von dem Geld zum Beispiel Pausenkisten gekauft, Spiel- und
Bastelmaterialien, Musikinstrumente, aber auch dringend benötigte Möbel. Zudem haben
wir mehrere größere Vorhaben, die wir aber zunächst zurückgestellt haben, da
dafür noch die nötige Infrastruktur fehlt, zum Beispiel größere Spielgeräte auf dem
Schulhof oder Spielfelder für die Kinder. Gemeinsam mit dem Schulelternbeirat
haben wir vor einiger Zeit mit der ganzen Schulgemeinschaft einen Ausflug in
einen kleinen Freizeitpark
an der Mosel unternommen. Gemeinsam mit acht Bussen und finanziert durch
Spendengelder haben wir uns an diesem Tag auf den Weg gemacht, um etwas Anderes
zu sehen und zu erleben. Das hat jedem gut getan.
Wie
sieht die Zukunft der Schule aus?
Birgit
Wittpohl: Bereits vor der Flut war die Schule sanierungsbedürftig. Anfang Juli
hat der Stadtrat beschlossen, dass dringende Sanierungsarbeiten durchgeführt
werden sollen, zudem sollte ein Anbau
gebaut werden. Dies steht nach dem Hochwasser wieder zu Disposition, ob nur saniert wird mit Anbau oder ob es einen
kompletten Neubau geben soll. Es ist im Moment aber auch schwierig, Flächen zu
finden. Wir leben jetzt schon seit Monaten mit einer Baustelle, es gibt
permanent Krach und Schmutz, das ist eine große Belastung. Wir wollen
idealer Weise ausgelagert werden, um ohne Stress- und Krach-Atmosphäre zu lernen
und zu arbeiten. Aber das sind nun politische Entscheidungen und die brauchen
Zeit.