Ende September haben wir uns als
Schulgemeinschaft auf den Weg gemacht, die Menschen in den Flutgebieten zu
unterstützen. Bei der Solidaritätswanderung sind 5000 Euro zusammengekommen.
2500 Euro gingen an die Kita St. Amandus in Kordel, in der Nähe von Trier. Kita-Leiterin
Ilka Ensch berichtet in einem Interview mit Lehrerin Jennifer Kahn von den
Herausforderungen nach der
Hochwasserkatastrophe und dem Neuanfang.
Wie haben Sie den Tag/die Nacht
der Flut erlebt?
Ilka Ensch: Am Abend bin ich noch
ins Dorf gefahren, Teppiche hochlegen mit einer Kollegin. Leider nur auf den
Tisch – im Nachhinein hätte ich lieber die Ordner der Kinder hochgestellt. Es
war eine furchtbare Nacht. Abends ging der Strom weg und das Internet, mein
Mann ist trotz allem zur Nachtschicht gefahren. Ich habe nachts immer wieder
Nachrichten bekommen von unserer Praktikantin/freiwilligen Feuerwehr über den
Stand. Da ich in der letzten Straße im Ort lebe, auf dem Berg, habe ich die
Lautsprecherdurchsagen immer nur teilweise verstehen können, es war sehr
erschreckend. Ich habe heute noch Gänsehaut, wenn ein Einsatzwagen mit
Durchsage an mir vorbeifährt.
Wie sah es am Tag nach der Flut
vor Ort aus?
Ilka Ensch: Donnerstags stand das
Wasser lange Zeit, ich bin ins Dorf gegangen und es war eine traurige Stimmung.
Es gab eine „Strom-Party“ am einzigen Haus, das noch Strom hatte. Viele waren
dort um ihr Handy zu laden oder einen Kaffee zu trinken. Das Ausmaß des
Hochwassers war noch nicht ersichtlich – ich persönlich wusste nicht, dass nach
dem Wasser der Schlamm bleibt. Das ganze Innere des Dorfes war überflutet. Ein
Gastank trieb vorbei, der Zug stand im Wasser. Es war nicht zu beschreiben,
aber nicht so gravierend schlimm wie einen Tag später, als das Hochwasser weg
war. Da sah es aus wie nach einem Krieg, nur das niemand danach aufgeräumt hat.
Wie stark waren die Familien vor
Ort/in der Einrichtung betroffen?
Ilka Ensch: Von unseren 90
Familien sind mindestens 27 Familien betroffen – bei einigen ist nur der Keller
vollgelaufen, mehrere Häuser allerdings wurden so stark überflutet, dass auch
das Erdgeschoss vollgelaufen ist. Teilweise dann auch die Geschäfte unserer
Familien – der Friseur, der Apotheker. Es sind wirklich existenzbedrohende
Gutachten dabei von über 200000 Euro.
Wie ist es nach der Begutachtung
der Schäden weitergegangen?
Ilka Ensch: Das Problem beim
Kitagebäude ist, dass wir kurz vor der Übergabe waren, vom Bistum zur Gemeinde
– was die Bauträgerschaft betrifft. Und die sind sich immer noch nicht einig
darüber, wie es mit der Kita weitergeht. Viele sprechen vom Abriss. Ich glaube
es erst, wenn der erste Stein gefallen ist. Viele Familien mussten vorerst
ausziehen aus ihren Häusern, wohnten in Wohnwagen, bei Verwandten oder in
Ferienwohnungen. Da laufen stetig die Sanierungsarbeiten.
Wie ging es den Kindern damals?
Ilka Ensch: Man hat es vielen
Kindern angemerkt. Ein Kind hat das Wasser steigen sehen, er war vorher schon
immer etwas nervös. Danach hatte er unheimliche Trennungsschwierigkeiten. Ein
Vorschulkind hat wieder angefangen einzunässen und einzukoten. Ein weiterer
Junge achtet beim Spaziergang immer genau darauf, woher denn der Bach läuft und
ob es viel geregnet hat. Wir haben nach Corona dann zusätzlich die Auswirkungen
vom Hochwasser gemerkt.
Was haben Sie in der Einrichtung
getan, um die Kinder aufzufangen?
Ilka Ensch: Wir haben eine Woche
nach dem Hochwasser eine Notgruppenbetreuung anbieten können für die letzten 2
Wochen vor der Sommerschließung. Wir gehen mit den Kindern ins Gespräch,
einzeln und auch im Kreis. Und wir haben mehrfach Telefonnummern in unsere
Mails gesetzt, mit Angeboten zur Therapie für Kinder und/oder Eltern.
Worin bestanden die größten
Herausforderungen?
Ilka Ensch: Die größte
Herausforderung am Anfang nach dem Hochwasser bestand darin, alle und alles
beisammen zu halten: viele Spendenangebote von Firmen an betroffene Familien
weiterzuleiten, die Eltern und Familien immer auf dem Laufenden zu halten,
betroffene Kolleginnen zu entlasten, für mich persönlich: als Leitung die
organisatorischen Dinge zu bearbeiten, denn ich habe sämtliche Unterlagen,
Arbeitsmaterialien und Daten verloren. Jetzt: Wir sind zur Zeit in 3 Standorte
aufgeteilt. Da allen gerecht zu werden, den Kontakt zu den Eltern aufrecht zu
halten, das Team zu motivieren…
Viele Menschen haben sich
entschlossen, den Flutopfern zu helfen. Was hat Sie in dieser Hinsicht am
meisten bewegt?
Ilka Ensch: Uns hat ganz viel
bewegt, seien es die lieben Worte und Basteleien aus Kitas und einer
Erzieherschule aus Sachsen, die Schutzengel gebastelt haben, das Angebot einer
Nachbarkita, mit der wir eigentlich nicht viel zu tun haben, die aber sofort
das Angebot gebracht haben, dass unsere Vorschulkinder dort Abschied feiern
können, die Aufnahme in der Grundschule und die begleitende Unterstützung vom
Grundschulrektor, das Angebot zum Spendenlauf/Spendenwanderung, eine Kita hat
einen Benefiznachmittag veranstaltet, eine Weitere hat uns T-Shirts für unsere
Abgänger geschickt, eine Base hat gesammelt, eine Kita hat uns ihre Liedermappe
als Datei geschickt, da unsere Liedermappen alle zerstört wurden… Es ist für
mich, weil die meisten Spendenaktionen über mich laufen, teilweise sehr
schwierig geworden, mich zu bedanken – nicht weil ich nicht dankbar bin, aber
weil ich keine Worte mehr für meine Bewegtheit hatte, und das Gefühl hatte, ich
kann es nicht ausdrücken. Ich weiß, ich hatte einen Tag, da bin ich nach einem
Telefonat aufgestanden und musste mich schütteln, weil ich nichts mehr
aufnehmen konnte. In meiner Rede in der Kirche (und ich hasse Reden) habe ich
gesagt, es gibt nicht viel Positives in diesem Jahr in Kordel – aber dass was
ich für mich mitnehme ist die große Solidarität die wir erleben dürfen. Oft
verrutscht das Menschenbild und man denkt sich, es interessiert eh niemanden,
wie es dem Nachbarn geht – aber das stimmt nicht! Das nehme ich mit. Und das
macht sehr demütig! Und dankbar!
Wie werden die Spendengelder in
ihrer Einrichtung eingesetzt?
Ilka Ensch: Wir haben den U3-Bereich
mit Möbeln eingerichtet – die sind aber erst teilweise da. Ich habe gestern
einen ganzen Schwung Kamishibai-Geschichten und auch die Theater dafür
bestellt. Wir haben für das Außengelände Spielsachen gekauft, wir haben ein
paar Musikinstrumente anschaffen können. Ansonsten planen wir unsere Ostheimer-Sammlungen
wieder aufzubauen, wir möchten noch gute Musikinstrumente, wir haben die Ordner
der Kinder neu gestaltet, Laternen gebastelt, etc. Wir haben mit dem
Förderverein besprochen, dass wir nach und nach weitere Anschaffungen tätigen,
ohne Eile, sondern mit Bedacht. Wir möchten uns eine Rücklage bilden, um gute
Möbel zu kaufen, wenn wir in die Kita zurück dürfen. Wir möchten jetzt auf
jeden Fall noch Garderoben bestellen, Taschenwagen, Rollenspielmaterial und
Konstruktionsmaterial.
Wie schreiten die
Aufräumarbeiten/ Wiederaufbaupläne voran?
Die Kita ist besenrein und wir
warten gerade auf einen unabhängigen Gutachter, der entscheidet, ob die
Bausubstanz noch zur Sanierung geeignet ist – bisher stehen alle Zeichen auf
Abriss und Bau einer neuen Kita am selben Standort – aber auf Stelzen. Wir
rechnen mit 5 bis 6 Jahren, die es braucht, um wieder in eine eigene Kita
zurück zu kommen.
Wie geht es den Kindern und den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern heute?
Ich glaube, die Kinder haben es
mittlerweile ganz positiv aufgefasst, wir sind zwar in 3 Einrichtungen
aufgeteilt, aber 2 von ihnen fahren die Kinder mit Bussen zur Kita, was diese
super finden. Für die Erzieher ist es sehr schwierig, wir kommen an unsere
Grenzen, helfen uns bei Krankheit und Urlaub aus, aber es ist einfach
schwieriger 3 Kitas zu personalisieren als eine in Gemeinschaft. Auch sind die
unterschiedlichen Konzepte manchmal schwer unter einen Hut zu bringen. Aber wir
sind froh, dass wir die Möglichkeit bekommen haben, überhaupt wieder in den
Vollbetrieb zu gehen. Wir hoffen einfach, dass die Elektroarbeiten bis Ende
Dezember abgeschlossen sind, und dann alle Kinder nach Kordel in die Kita
kommen können.Ich als Leitung komme gerade stark an meine Grenzen, da ich so
mit der Organisation von allem vom Hochwasser beschäftigt bin, dass meine
eigentliche Arbeit immer etwas hinterher hinkt.
Was wünschen Sie sich für die
Zukunft?
Ilka Ensch: Ich wünsche mir, ganz
banal, dass der Alltag bei uns einzieht. Dass wir im Team und mit den Kindern
zur Ruhe kommen können. Das wird so schnell leider nicht passieren. Denn auch
wenn wir nach Weihnachten gemeinsam in ein neues Jahr starten dürfen, sind
Container in Planung, weil unsere Kinder und die auf der Warteliste nicht alle
in der Grundschule unterkommen können – so dass ich damit rechne, dass wir
spätestens im Sommer bis zum Einzug in eine Kita in 5 bis 6 Jahren wohl mit 2
Standorten arbeiten müssen.
Vielen lieben Dank für Ihre
Spende und Ihr gemeinsames Engagement! Bleiben Sie gesund!